Wir brauchen neue Kritiker!
Erwachsene, die sich wie Erwachsene benehmen und Führungskräfte, die führen sowie die Besinnung darauf, dass kritisches Denken zentral für eine Leistungsgesellschaft ist – das könnte der Lösungsweg sein, um den Leistungsabfall bei den nachwachsenden Generationen zu verhindern. Das hat sich bei den diesjährigen Oldenburger Schlüsselgesprächen herauskristallisiert. Die Debattenveranstaltung wurde unter der Überschrift „Es ist Arbeit – Wie holen wir unsere Jugendlichen zurück?“ vom BFE ausgerichtet.
Elternversagen: Überbehütung ist wie Vernachlässigung
Hauptredner war in diesem Jahr der bekannte Generationenforscher Rüdiger Maas, der eine ge-samtgesellschaftliche Infantilisierung kritisierte und dazu aufrief, endlich wieder Verantwortung als Erwachsene zu übernehmen. So benähmen sich Eltern oft wie Fans und Supporter. „Doch wenn ich Fan meines Kindes bin, kann mein Kind nicht mehr mein Fan sein“, sagt Maas. Kindern fehlten dann die Vorbilder. Sie fortwährend um ihre Meinung zu fragen und diese sogar über die der Erwachsenen zu stellen, bürde ihnen eine moralische Last auf. Zudem hätten ständiges Entertainment und Nachgiebigkeit negative Folgen für die Entwicklung der Heranwachsenden. Vielen sei nicht klar: „Überbehütung hat die gleiche Wirkung wie Vernachlässigung.“
Anstelle sich schützend zwischen die brutalen Bilder aus der Social-Media-Welt und den Nachwuchs zu stellen, knickten Eltern vor dem Mitläufer-Argument „Alle anderen dürfen aber auch“ ein. In der digitalen Welt sei das Kind aber häufig ein Niemand mit null Followern, umgeben von erfolgreichen Influencern. Zwischen sich wie kindliche Fans benehmenden Erwachsenen und einer zum Teil KI-generierten, brutalen digitalen Welt entwickelten viele Jugendlichen ein destruktives Mindset: 1. Ich darf nicht auffallen. 2. Ich bin der Beste. 3. Ich bin gar nichts. Mit dieser niedrigen Frustrationsgrenze schlügen die Jugendlichen dann in den Unternehmen auf.
Azubis heute: Vom Bewerber zum Umworbenen
Wie mit dieser Generation umzugehen sei, diskutierten in der nach dem Vortrag folgenden Debatte der Oberstudiendirektor Gerd Mora Motta, sowie die beiden erfolgreichen Mittelständler Max Oevermann der Firma Alfons Diekmann aus Damme und Lukas Bäcker aus der Meyer-Technik-Unternehmensgruppe. Auch das Publikum aus Auszubildenden sowie Abgesandten der Handwerkerinnungen Niedersachsens und Bremen beteiligte sich rege.
Maas kritisierte den Versuch von Unternehmen, sich dafür verantwortlich zu fühlen, dass ihre Mitarbeiter Spaß bei der Arbeit hätten. „Absoluter Irrsinn“, so der Psychologe. Arbeitgeber müssten Geld und Struktur vorgeben, mehr nicht. Arbeit sei kein Spaß. Dies zu denken, sei eine Utopie. Auch das Anlocken über „Goodies“ und Absenken von Bewerbungsanforderungen führe in die falsche Richtung. „Wenn ich zu viel anbiete, entwerte ich mein Angebot. Wer nichts machen muss, verliert das Interesse.“
Demgegenüber argumentierte Bäcker, dass aktuell von zehn Ausbildungsstellen nur eine besetzt sei. Wenn der Nachbar niedrigschwellige Angebote macht, könne man es sich schwerlich leisten, die Schwelle höher zu setzen.
Ein Unternehmer aus dem Publikum warf ein, dass für Bewerber der „Coolness-Faktor“ beziehungsweise das gute Image eines Unternehmens vielleicht der wichtigste Entscheidungsfaktor sei. Stimme die Attraktivität, kämen auch die Bewerber.
Debattiert wurde auch über den Umgang mit fehlendem Wissen oder schwierigen Einstellungen. So investieren Bäcker und Oevermann seit Jahren in einen umfangreichen Einarbeitungsprozess, intensive Betreuung und klare Regeln. „Wir müssen oft Grundwissen vermitteln, zum Beispiel in welche Richtung man eine Schraube anzieht. Wir beschweren uns aber nicht über das Niveau, wir arbeiten damit“, so Oevermann. Bäcker sah die Aufgabe, die jungen Menschen für den Beruf zu begeistern, beim Unternehmen und warb um Verständnis für den Prozess der Entscheidungs-findung von jungen Menschen.
Maas warb für Praxis beim Lernen: „Die nächste Generation kann sich weniger konzentrieren. Bringen Sie sie ins „Doing“: Am besten beide Hände vorn, dann gibt es kein Handy.“ Auch seien klare Worte angebracht: „Wir tun uns sehr schwer damit, Kritik zu äußern. Viele Führungskräfte sind keine Führungskräfte.“
„Das System ist am Ende“: Schule in Deutschland
Schließlich ging es um das Thema Lernen. Am wichtigsten sei kritisches Denken“, sagte Mora Motta, Leiter des Bildungszentrums für Technik und Gestaltung der Stadt Oldenburg. „Ich kann heute nicht mehr glauben, was ich sehe. Ich muss alles kritisch hinterfragen. Wie beeinflusse ich das Internet und wie beeinflusst es mich?“ Eine kritische Sicht auf digitale Medien müsste bereits in den ersten Klassen der Schulen vermittelt werden.
Lehrer seien indes heute oft durch die Heterogenität der Klassen überfordert. „Das System ist am Ende. Ich appelliere dafür, neue Wege zu gehen“, so Motta und skizzierte die Auflösung von Klassenstrukturen zugunsten eines individuellen Lernens, die Entschlackung des Lehrstoffs auf Grundwissen, mehr Eigenverantwortung und die Gestaltung von positiven Lernerlebnissen.
Am Ende der Veranstaltung fasste Dieter Meyer, Obermeister der Elektro-Innung Oldenburg, seine Erkenntnis vom Tag zusammen: „Es muss wieder geführt werden.“
Den Podcast zur Veranstaltung finden Sie hier.